Richterbund sieht Ampel in der Pflicht

Berlin. Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes Sven Rebehn hat sich in einem Gastkommentar für FAZ Einspruch für eine personelle Verstärkung der Strafjustiz ausgesprochen.

Die Ampelkoalition schiebt ihr Versprechen des Koalitionsvertrages, die Justiz personell schlagkräftiger aufzustellen, auf die lange Bank. Auch angesichts der anstehenden Pensionierungen von Richtern und Staatsanwälten ist das kurzsichtig.

Nachdem der erste Schock über die Angriffe auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte in der Silvesternacht 2022 gewichen war, haben die üblichen politischen Reflexe gegriffen: Böllerverbote brauche es, am besten bundesweit. Und, selbstverständlich, eine konsequente Strafverfolgung mit schnellen, harten Urteilen. Die Justiz müsse durchgreifen, der Rechtsstaat wehrhaft sein. Es ist weithin die bekannte Routine, mit der Rechtspolitiker und Innenexperten nach dem Jahreswechsel auf die Silvesterkrawalle reagiert haben. Dabei ist auch ihnen völlig klar, dass Verbote nicht helfen, solange sie nicht ausreichend kontrolliert und durchgesetzt werden können.

Auch neuerliche Strafverschärfungen brächten wenig, weil die drohenden Strafen bei Angriffen auf Polizei und Retter bereits scharf sind. Entscheidend ist vielmehr, dass die Strafe der Tat nicht irgendwann, sondern möglichst auf dem Fuß folgt, damit sie abschreckend wirkt. Die gesetzlichen Möglichkeiten, um schnell und effektiv zu reagieren, sind vorhanden. Sie werden von der Justiz auch genutzt. Es bräuchte aber zusätzliches Personal, um insbesondere die jetzt viel diskutierten beschleunigten Verfahren bundesweit häufiger durchführen zu können. Sie setzen kurze Wege und gut eingespielte Abläufe zwischen Polizei, Staatsanwaltschaften und Strafgerichten vor Ort voraus.

Die Bundesregierung darf es deshalb nicht bei markigen Forderungen und starken Ankündigungen belassen, sondern sollte ihren Teil dazu beitragen, dass es Fortschritte gibt. So richtig es ist, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Ende der Sparmaßnahmen in der Justiz fordert, so sehr fällt diese an die Länder gerichtete Kritik auch auf die Ampelkoalition zurück. Die Bundesregierung hat das Versprechen des Koalitionsvertrags, die Justiz durch einen zweiten Rechtsstaatspakt mit den Ländern personell schlagkräftiger aufzustellen, im Dezember 2022 beim Spitzentreffen mit den Ministerpräsidenten vorerst eingesammelt und auf die lange Bank geschoben.

 

Keine großen Sprünge

 

Die Ampel will nun lediglich bei der Digitalisierung der Justiz mithelfen. Es ist zwar richtig, einen Digitalpakt mit den Ländern anzustreben, zumal der Bund auch den weiteren Zeitplan zur flächendeckenden Einführung der elektronischen Akte bis 2026 durch Bundesgesetze abgesteckt hat. Die digitale Transformation stellt die Gerichte und Staatsanwaltschaften in den nächsten Jahren vor gewaltige Herausforderungen. Zur Größe der Aufgabe passt es, dass die Bundesregierung die Justiz in ihrer Digitalstrategie als eines von 18 Leuchtturmprojekten herausstellt und darin aufwendige Vorhaben wie eine Bundescloud für die Justiz skizziert. Das Budget von bis zu 200 Millionen Euro, mit dem die Bundesregierung die Länder bis 2025 unterstützen will, dürfte aber kaum für große Sprünge reichen.

Zum anderen ginge ein auf Digitalisierungsprojekte verengter zweiter Rechtsstaatspakt am drängendsten Justizproblem des fehlenden Personals vorbei. Die Ampelkoalition muss beide Versprechen des Koalitionsvertrages halten und neben einem ausreichend dimensionierten Digitalpakt mit den Ländern eine mehrjährige Kofinanzierung neuer Stellen durch den Bund auf den Weg bringen. Bundesweit fehlen nach den Berechnungen der Länder zum Personalbedarf allein in der Strafjustiz noch immer mehr als 1000 Richter und Staatsanwälte. Bei der Amtsanwaltschaft und im Rechtspflegebereich, beim Geschäftsstellenpersonal und insbesondere bei IT-Fachkräften ist die Lage ebenfalls sehr angespannt.

Der erste Rechtsstaatspakt, durch den die Länder von 2017 bis 2021 mehr als 2500 neue Stellen für Juristen in der Justiz besetzt haben, hat noch nicht zu der erhofften Trendwende geführt. Die Entlastungseffekte des Pakts sind überschaubar geblieben, weil zahlreiche neue gesetzliche Aufgaben die Stellenzuwächse insbesondere in der Strafjustiz wieder aufgezehrt haben. In einer aktuellen Befragung von mehr als 800 Richtern und Staatsanwälten durch das Institut für Demoskopie Allensbach für den Roland-Rechtsreport 2023 geben nur 8 Prozent der Befragten an, dass der Rechtsstaatspakt zu einer Entlastung in ihren Dienststellen geführt hat. 41 Prozent beklagen, dass ihre Arbeitsbelastung seit 2019 trotz des Rechtsstaatspakts größer geworden ist. Bei den befragten Staatsanwälten kritisieren das sogar 53 Prozent.

 

Überlastung ist messbar

 

Dazu passen die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Arbeit der Strafjustiz, die einen Trend zu immer längeren Verfahren belegen. Die durchschnittliche Dauer erstinstanzlicher Strafverfahren vor den Landgerichten ist demnach 2021 auf einen neuen Höchstwert von 8,2 Monaten gestiegen. Gerechnet ab Eingang bei der Staatsanwaltschaft, dauern die erstinstanzlichen Verfahren beim Landgericht im Schnitt inzwischen sogar 21 Monate, 2011 ging es noch vier Monate schneller. Auch bei den Amtsgerichten hat sich die Verfahrensdauer bis zu einem Strafurteil deutlich auf 5,8 Monate verlängert. Im Zehnjahresvergleich waren die Amtsgerichte fast zwei Monate schneller. Das deckt sich mit der Wahrnehmung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung: In einer repräsentativen Allensbach-Bevölkerungsumfrage für den Roland-Rechtsreport 2023 geben 80 Prozent der 1042 Befragten an, dass viele Gerichtsverfahren in Deutschland zu lange dauern. Drei von vier Befragten halten die Justiz für überlastet.

Die meisten der stetig wachsenden Anforderungen an die Justiz sind dabei durch neue Bundesgesetze verursacht worden. Und die nächsten Aufgaben zeichnen sich bereits ab. So hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) jüngst eine effektivere Strafverfolgung von Geldwäsche versprochen, was am Ende aber ebenfalls die Strafjustiz einlösen muss. Auch in zahlreichen anderen Bereichen des Strafrechts hat die Ampel sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, den Vollzug der bestehenden Gesetze zu verbessern – Stichworte Hasskriminalität und Extremismus, organisierte Kriminalität und Bekämpfung von Kindesmissbrauch.

Will die Bundesregierung bei der Justiz glaubwürdig bleiben und einen weiteren Vertrauensverlust bei der Bevölkerung in den Staat vermeiden, sollte sie ihren Kurs korrigieren und sich finanziell weitaus stärker für einen durchsetzungsfähigen, wehrhaften Rechtsstaat engagieren. Angesichts der hohen Arbeitsbelastung und wachsender Aufgaben für Staatsanwaltschaften und Strafgerichte kann eine Trendwende zu schnelleren Strafverfahren nur mit deutlich mehr Personal gelingen. Sicher sind hier in erster Linie die zuständigen Bundesländer gefordert. Eine mehrjährige Anschubfinanzierung des Bundes gegen die verbindliche Zusage der Länder, 1000 zusätzliche Stellen in der Strafjustiz bis 2025 zu schaffen, würde aber Rückenwind beim Personalaufwuchs geben, wie das Erfolgsmodell des ersten Rechtsstaatspakts gezeigt hat.

Die Zeit für eine Bund-Länder-Einigung auf einen kraftvollen zweiten Rechtsstaatspakt drängt. Auch angesichts einer großen Pensionierungswelle, mit der bis 2030 annähernd 10.000 Richter und Staatsanwälte die Justiz verlassen, müssen jetzt die personellen Weichen gestellt werden. Gelingen kann das freilich nur, wenn neben den Arbeitsbedingungen auch die Bezahlung in der Justiz attraktiv genug ist.

Daran hat die EU-Kommission in ihrem aktuellen Rechtsstaatlichkeitsbericht nochmals erinnert. Sie hat Deutschland aufgefordert, die Finanzierung der Justiz einschließlich der Besoldung von Richtern und Staatsanwälten zu verbessern. Solange die Besoldung in Deutschland im Vergleich zum Durchschnittseinkommen eine der niedrigsten in Europa ist, dürfte es immer schwieriger werden, im verschärften Wettbewerb mit Unternehmen und Anwaltskanzleien um die besten juristischen Köpfe noch zu bestehen. Während die Besoldung eines Berufseinsteigers in der Justiz im bundesweiten Schnitt heute bei rund 55.000 Euro brutto pro Jahr liegt, hat eine Vergütungsstudie von Kienbaum Consultants für vergleichbar qualifizierte Juristen in Großkanzleien bereits vor fünf Jahren ein durchschnittliches Gehalt von 118.000 Euro auf der ersten Karrierestufe ermittelt.

Ansprechpartner

Bild von Matthias Schröter Matthias Schröter Pressesprecher
Telefon030 / 206125-12 Fax 030/ 206125-25 E-Mail schroeter@drb.de